Fazit von einem Jahr Geschichtsseminar Weltgeschichte aus marxistischer Sicht (Von der Menschwerdung bis zur griechischen Demokratie)

 Ein Jahr Geschichtsstudium liegt hinter uns. Ein Wagnis, gegen den Mainstream anzuschwimmen. Geschichtliche Entwicklungen marxistisch zu durchschauen. Immer wieder auf die Frage zu stoßen, warum handelte wer warum wie – und warum mit welchem Ergebnis. Und das Ganze aus Interesse an der Sache und nicht, weil irgendwo ein Schein belegen wird, du warst da dabei. Eigentlich müssten die Schweißtropfen von unserem Herbert Driebe noch von Potsdam bis Hellersdorf zu erschnuppern sein, die ihm bei Vor- und Nachbereitung geflossen sind (und unsere bei ihm). Auch wenn manche Blüten nicht aufgegangen sind, vor allem das Vorhaben, grundsätzlich die Veranstaltungen durch Spezialvorträge der Studenten zu bereichern. So hatte ich mich vergeblich auf die Anfänge der Haustierhaltung, die Geschichte des Matriachats und die Entwicklung der Stammesbeziehungen bis hin zum Staatswesen als geschlossenem Vortrag gefreut. Dafür ist unser Seminarleiter nun von seinem usprünglichen Prinzip abgerückt, die Veranstaltungsreihe als Einheit zu fordern. Die einzelnen Samstage entwickelten sich zu in sich abgeschlossenen Veranstaltungen, wo Interessierte auch einmal eine einzelne Veranstaltung zum Schnuppern heimsuchen dürfen, weil sie das Thema besonders interessiert.

Das letzte Seminar hatte es noch einmal in sich. Das Jahr hatte einen Flug durch die Urzeit der Menschheit bis ins antike Griechenland gebracht und als Essenz wurde nun die Frage nach dem „Fortschritt“ gestellt – mit der Zuspitzung, dass die Sklaverei ein Fortschritt war … und zwar ein notwendiger. Glücklicherweise fand sich auch Widerspruch – gerade aus den Texten von Marx und Engels heraus, die Herbert Driebe diesmal besonders wohl dosiert ausgewählt hatte. Hierbei zeigte sich, dass Geschichte schwerer zu analysieren ist, wenn bestimmte philosophische Grundlagen fehlen, genauer das dialektisch-materialistische Denken, im Konkreten das Prinzip der Negation der Negation. Arbeitsteilung war die entscheidende Möglichkeit, um die Produktivität der Gemeinschaft zu erhöhen, die entscheidende Arbeitsteilung aber war die zwischen Kopf- und Handarbeit. In letzter Instanz war genau die die Voraussetzung für allen folgenden Fortschritt. Die Mehrheit der Menschen musste versklavt Grundarbeiten ausführen, damit eine (allerdings wachsende) Minderheit sich bei Tätigkeiten qualifizieren konnte, die auf Gesellschaft und Kunst ausgerichtet waren. Erfindungen, Organisation, Planung von komplexer werdenden Abläufen waren neben der alltäglichen Bewältigung der notwendigen gemeinschaftlichen Bekämpfung von Hunger, Durst und Kälte unter neolithischen Bedingungen im Wesentlichen nicht denkbar. Ohne eine Einteilung in Bauherren, „Wissenschaftler“ und buckelnde Sklaven wäre nie eine Akropolis entstanden und wir Cavemen.

 Wichtig war mir allerdings ein Rückgriff auf den wahrscheinlichen Anfang aller Klassengesellschaft – zumindest belegbar für das ganz alte Ägypten:
Die eine Kraft der Entwicklung ist Evolution. Allmählich passe sich alle Lebensformen an ihre Umgebung an. Im Idealfall entsteht ein „Paradies“, in dem die Grundbedürfnisse Essen, Trinken, Schutz vor feindlicher Umwelt im Rahmen dessen, was sich die konkreten Individuen vorstellen können, erfüllt sind. Eine kleine Verbesserung einer Jagdwaffe kann dazu führen, dass die ganze Gruppe über Jahre zufrieden ist, weil sie viel satter ist als ihre Vorfahren.
Die großen Sprünge aber entstehen durch Katastrophen, existenziellen Druck von außen. Um genau zu sein: Die wahrscheinlich häufigeren Fälle sind die, in denen die jeweiligen Gemeinschaften untergehen und aus dem Blickfeld unserer Geschichtsbetrachtung entschwinden. Die, die ihr Problem meisterten, von denen erfahren wir etwas. So geschehen in Nordostafrika, von dem wir heute wissen, dass es vor 10000 Jahren eine große fruchtbare Region umfasste. Allmählich eroberte „klimawandelbedingt“ die Sahara immer mehr zuvor bewirtschaftbares Land. Die dort lebenden Menschen mussten sich in immer kleiner werdende Regionen zurückziehen, in denen schon wirtschaftende, mit dem Lebensnerv Nil-Fluss vertrautere Menschen lebten. Unter gegebenen Bedingungen hätten alle schlechter leben müssen oder die einen die anderen erschlagen … oder es musste ein Weg gefunden werden, aus dem Vorhandenen einen höheren Ertrag zu erzielen. Dies aber ging am leichtesten durch Wissen, Erfahrung und dem entsprechenden organisierten Handeln.
Im Zuge der nächsten „Evolutionsrunde“ verfestigten sich die Träger dieser geistigen Tätigkeiten zu einer eigenen „Klasse“, die – weil sie einen anderen Bereich für sich erobert hatte – nicht mehr körperlich arbeitete sondern arbeiten ließ. Sie erfüllte aber immer noch eine die Versorgung der angewachsenen Gemeinschaft sichernde Funktion. Erst in relativ langen Zeiträumen wurde diese Verselbständigung zum Hindernis, wurde die Potenz der auf Sklaven aufbauenden Gesellschaftsstruktur erschöpft und durch eine neue ersetzt.
Der Seminarleiter unterstrich die tendenzielle Allgemeingültigkeit der sprunghaften Fortschrittsentwicklung, verwies dabei darauf, dass die (menschengemachte) Katastrophe des ersten Weltkriegs eine vergleichbare Wirkung hatte, sie ein Zwangmittel war für schnellen gesellschaftlichen Fortschritt – diesmal in Form der Oktoberevolution, in Form der Hoffnung, tatsächlich endlich den Sprung in den Sozialismus/Kommunismus geschafft zu haben.
Das hieße für heutige Verhältnisse, dass die massenweise Suche nach gesellschaftlichen Ursachen für eine Katastrophe und ihre Beseitigung erst beim Eintreten derselben massenweise griffe, also z. B. erst, wenn durch den Klimawandel Rostock schon unter Wasser steht.
Neu ist im Prinzip nur, dass es die Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge heute gibt, Menschen, die sie finden wollen auch finden können. Dass man die Katastrophen nicht nur vorhersehen kann, sondern auch als Menschheit übe die Mittel zu ihrer Vermeidung verfügt.
An dieser Stelle brach der Seminarleiter mit dem Prinzip Hoffnung ab … Schließlich bleiben noch 2000 Jahre „jüngere“ Geschichte als Stoff zur Diskussion in drei Jahren weiteren Studiums ... 

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