Das traurige Märchen vom salzigen Tropfen
Es
lebte einmal im riesigen Ozean ein salziger Tropfen. Als Kind hatte
er sich einen Namen gewünscht. Aber es gab ja so viele Tropfen um
ihn herum und viele waren so salzig wie er. So wollte ihm niemand
einen Namen geben und der Tropfen fühlte sich unnütz. Er wusste
nicht mehr, warum und seit wann er salzig war, aber er erinnerte sich
gut, wie ihn vor langer Zeit ein junger Schwimmer ausgespuckt hatte.
"Ist das hier salzig!", hatte der gerufen und "Ih!"
Seit jenem Tag hatte der Tropfen immer wieder in den nassen, vom Tang
angegriffenen Seiten des großen alten
Buchs von Mutter Natur geblättert.
Endlich fand er etwas, was ihn glücklich machte. Salziges Wasser, so
hatte da gestanden, hält Schwimmer an der Oberfläche des Meeres.
Erst wenn es zu viel gäbe vom Salz, würde aus dem Meer von Leben
ein Totes Meer.
Von
nun an achtete er in der Nähe der felsigen Insel auf die Schwimmer,
die bei Sonnenuntergang ein letztes Bad im Ozean nahmen. Er schob
sich heimlich unter sie und war nun ein richtig stolzer, weil
salziger Tropfen. Alle Schwimmer blieben an der Oberfläche. Keiner
ging unter.
An
einem Tag, an dem Wolken den Sonnenuntergang versteckten, tauchte der
Tropfen das erste Mal unter eine Schwimmerin, die er bald heimlich
seine kleine Nixe nannte. Wie war die keck: Lange, ganz lange hatte
der salzige Tropfen gebraucht, um zu begreifen, dass sie mit Absicht
in des Wassers Tiefe tauchte, um den lieblichen Gesang des
Meereschores zu vernehmen. Trotzdem schob sich der Tropfen weiter
unter sie, um sie mit all seiner Kraft hoch zu drücken. Es konnte ja
sein, sie schaffte es nicht allein und dann wäre seine Stunde
gekommen. Manchmal blieb er noch einen kurzen Augenblick an ihrer
Haut haften, wenn sie, ihr Bad beendend, längst wieder festen Grund
an den Fußsohlen spürte. Er wusste es ja: Bevor sie das Ufer
erreichte, schüttelte sie sich noch einmal kräftig. Dann fiel er
zurück zwischen die vielen anderen Tropfen. Er war bereit, die
Stunden zu warten, bis er wieder auf seine Nixe aufpassen musste.
Natürlich hätte er nicht müssen, aber er wollte müssen; also tat
er es.
Eines
Nachts, als der salzige Tropfen träumend in Ufernähe an der
Oberfläche des Ozeans trieb, sah er, wie die Nixe die äußere ihrer
zarten Häute zum Trocknen auf ein Gestell hängte. Wie sie da zu
ihrer Hütte lief, ungeschützt durch die alltägliche Außenhaut,
leuchtete sie heller als der an diesem Abend den Strand beobachtende
Mond. Das machte den Alten oben ganz neidisch. Kaum war die Nixe
nicht mehr zu sehen, sprang er von seinem Himmelsplatz herunter,
griff sich die trocknende Haut und leuchtete nun selbst viel heller,
weil ihm ein dreister Raub gelungen. Der salzige Tropfen hatte zwar
alles gesehen, doch er konnte nichts tun und keine Sprache war ihm
gegeben, der enthäuteten Nixe zu helfen.
Tagsüber
verdeckte sie ihre empfindsamen Stellen durch künstliche Häute, die
den kitzelnden Wind abhielten, die sengende Sonne und die Blicke der
Männer der Insel. Abends aber, wenn der Wind und die Sonne und die
meisten Männer bereits schliefen, legte die Nixe ihre falschen Häute
ab und stieg wie gewohnt zum Bad in den Ozean. Sofort war der salzige
Tropfen zur Stelle, schob sich unter die heimlich Geliebte, die ja
nun, so meinte er, seines besonderen Schutzes bedurfte. Er musste ihr
nur nahe genug sein, um schnell und fest zuzugreifen und sie an der
Oberfläche zu halten.
Aber
oh Schreck: Der Tropfen hatte die Unterhaut berührt und die Nixe
schrie auf vor Schmerz. Wie das brannte! Das war bestimmt das Salz im
salzigen Tropfen. Die gequälte Nixe rannte zum Strand zurück und
blickte entsetzt zum Wasser. Dort würde sie nicht mehr hineingehen.
So
sehr der kleine salzige Tropfen in der Nähe des Ufer durchs Wasser
schwamm - was sollte ein Tropfen im Ozean schon anderes tun - er
bekam seine Nixe nicht wieder zu Gesicht. Da weinte er viele
kleine salzige Tränen. Jammernd dachte der Tropfen darüber nach, ob
und wann denn der Nixe eine neue Haut wüchse, damit er sie wieder
beschützen könne. Aber im Buch der weisen Natur waren die Stellen,
an denen eine Antwort gestanden hatte, vom Schlick verwischt.
Der
einsame salzige Tropfen wartete noch viele Nächte vergeblich unter
dem schadenfrohen Grinsen des Mondes. Eines Morgens beschloss er,
seinem nutzlos gewordenen Leben ein Ende zu setzen. Er warf sich in
die Luft und ließ sich von sengenden Sonnenstrahlen, die mit
liebestollen Windhosen spielten, in Dunst verwandeln. Von nun an
schwamm er im Wolkenmeer. Nichts Anderes wünschte er sich, als
einmal noch auf seine Nixe zu treffen. Er träumte es so laut, dass
der Wind drehte. Der Tropfen ahnte nicht, wohin er getrieben wurde.
Er fror in heimatferner Höhe, bis er als Regentropfen auf der Hütte
der Nixe landete. Aber das ist eine ganz andere Geschichte, denn
inzwischen war der salzige Tropfen zwar noch ein namenloser, aber
kein salziger Tropfen mehr.
Ach, Slov, das ist aber ein hübsches Märchen. Gefällt mir richtig gut, sowohl sprachlich wie auch inhaltlich.
AntwortenLöschenAn einer Stelle musste ich grinsen ... aber das ist ... eine andere Geschichte :o)
Lieben Gruß
Gunda