Die sieben Kugeln - Leseprobe


Irgendwann musste er doch eingeschlafen sein. Diese schwebenden, ihn gnadenlos jagenden Kristalle … Grrr! Und dieser leere Raum. Er war gerannt und gerannt, hatte keine Luft mehr bekommen, … und hätte jetzt schweißgebadet aufwachen müssen. Auflösung des Traums: Er hatte sich die Decke im Schlaf über den Kopf gezogen. Ein wunderschöner Albtraum zum Weitererzählen.
Leider nahm die Unruhe eher noch zu, jetzt, da er, mit trockener Haut und ohne Decke über dem Kopf, aufgewacht war. Wirklich aufgewacht? Ganz sicher? Vielleicht war er nur in den nächsten Traum geraten?
Neben ihm zischte etwas. Das war eigentlich ausgeschlossen. Rahman hatte das Zimmer von innen verriegelt, und sein Zimmergefährte war übers Wochenende abgeholt worden. Es konnte also nichts und niemand im Raum sein und zischen.
Am liebsten hätte Rahman laut „Ist da wer?“ gerufen. Geantwortet, „Ja. Ich!“ und gelacht. Aber dafür war das Rauschen zu deutlich. Es hörte sich an, als ob Gas aus einem Rohr ausströmte. Oder… Nein, das Geräusch in seinem Zimmer wurde deutlicher, es kam näher. Rahman atmete ein, aus, ein … Er hielt den Atem an. Kein Zweifel: Etwas rauschte vom Tisch her auf ihn zu, und das war, so sehr er sich das gewünscht hätte, nicht sein Rausch.
Es wurde immer heller. Der ganze Raum war von blauem Dämmerlicht erfüllt.
Die Lampe strahlte natürlich nicht blau, und Rahman hatte sie sowieso erst anschalten wollen. Sein linker Zeigefinger hing noch auf dem Weg zum Lichtschalter in der Luft.
Der Lampenschirm! Ungläubig klebte Rahmans Blick auf dessen bisher so herrlich kitschigen Muster. Wie sich der Schirm veränderte. Sich bewegte. Als ob er aufschäumte... und dann, ebenso kurz, glitzerte er wie von Eiskristallen überzogen. Zum Schluss schmolz er. Auch der Schreibtisch darunter sackte wie in einer Computersimulation zu einem zähen Brei zusammen.
Rahmans Blick verfolgte fassungslos, was da über seine Einrichtung hinwegspritzte. Bläulich leuchtende, sich scheinbar aus eigener Kraft bewegende Tropfen. Ja, wirklich: Hüpfende Tropfen! Wie lebendig! Immer dort, wo sie auftauchten, lösten sich die gewohnten Dinge in Brei auf. Die Tropfen selbst veränderten ständig ihre Gestalt. Strahlten, glühten, teilten sich. Sprangen weiter, wo alles zähflüssig geworden war, wo nichts mehr stand oder lag …
Und Rahman lag in seinem Bett! Wenn sie so weiter machten, hätten sie es bald erreicht! Sich selbst umherspritzend, hüpfend…
Ein Traum! Ein Albtraum! Rahman, wach auf!
Dumm nur, er kam sich wahnsinnig munter dabei vor. Und das Kneifen mit der linken Hand verursachte echte Schmerzen. Mehr als man träumen konnte. Trotzdem: Wo gab es so etwas sonst? Rahman bekam keinen Laut über die Lippen. Rührte sich nicht.
Gerade noch rechtzeitig, bevor die ersten Tropfen das Bett erreichten, schnellte er dann doch hoch. Landete artistisch auf dem Fensterbrett, dem einzigen Rest seines Zimmers, den die Tropfen noch nicht erobert hatten. Den Weg zur Tür hatten sie versperrt, Tisch und Stühle in der Zimmermitte waren im Brei verschwunden. Vor Rahmans Augen verwandelte sich das Bett, in dem er eben noch gelegen hatte, erst in etwas Glitzerndes; dann löste es sich auf. Mit etwas tieferem Schlaf hätte er schon schlammige Ruhe gehabt. ...

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