Verträumtes ...

Jugendträume sind etwas (mindestens) Zweischneidiges: Auf der einen Seite Triebkraft zum Vorwärtsschreiten auf der anderen Grund für spätere Erkenntnis der Unerfüllbarkeit.
Doch darf man sie total auf den Boden der Realität hinabziehen, weil man nach der eigenen Jugend um Unmöglichkeiten weiß?
EINE mögliche Antwort ist eine mathematisch-philosophische: Das einzige absolute Wissen um unser Wissen ist, dass wir kein absolutes Wissen haben können.
Eine literarische: Durch ein Löchlein in einer Mauer duftete es verführerisch nach Honig. Der weise alte Bär hatte sich Schnauze und Tatzen wund gerieben. Da kam eine junge, weltfremde Biene und setzte sich erschöpft vom weiten Flug auf des Bären Tatze. "Ach ja, du hättest auch gern den Honig, stimmt´s?! Aber da kommt man nicht durch." Da bewegte die Biene ihre Flügel und verschwand für die Blicke des Bären durch das Löchlein in der Wand. (Die Geschichte kann noch weiter gehen: Da der Bär aber ein pessimistischer Bär war, jammerte er. "Arme Biene! Nun wirst du dich AM Honig überfressen und nicht mehr aus der Mauer herauskommen ...")
Was kann also die Jugend dafür, dass die Alten ihre Träume schon verloren haben?

Eitelkeit

Künstler sind eitel. Das ist normal. Die, die behaupten, ihnen liege nichts an der Anerkennung durch andere, kokettieren mit der Hoffnung, sie über den Umweg über diese Äußerung vielleicht doch zu gewinnen.
Gestern kam ich mir aber wie ein Superpfau vor:
Ich habe nicht mitgezählt, wie viele Autoren gelesen haben. Auf jeden Fall war die Zahl zweistellig. Jeder durfte bis 4 Minuten lesen, so 2-3 Gedichte. Ich hatte umdisponiert und zu meinen ursprünglich zwei noch ein drittes, besonders vortragstaugliches Gedicht aus "worträume" ausgewählt. Das Buch hatte ich ja mit. Dass die Wirkung meiner drei Gedichte (höchste Aufmerksamkeit, spontaner Sonderbeifall für jedes einzelne Gedicht, eine Zuhörerin, die nach Lesungsschluss auf mich zustürmte, um dieses Buch zu erwerben) so extrem sein war, versetzte mich in einen richtigen positiven Taumel. Da kam mehr rüber als "nur" Spaß am Vortrag. Und - wie gesagt - ich war der einzige "Herausgehobene" (wobei einige der Lesenden einfach insofern "versagten", dass sie echte "Lese-Gedichte" anboten, ohne überdurchschnittliche Rezitationstalente zu besitzen).
Pfau, Pfau, Pfau!!!
Sollte mein Selbstbewusstsein so mikroskopisch sein, dass ich mich in einem solchen zum Erfolg aufgeblähten Erlebnis suhlen muss?! Wahrscheinlich ja.
Zur gleichen Zeit lasen übrigens weltweit Dichter für den Frieden. Die unsere war insgesamt gelungen, allerdings  nicht vergleichbar mit jener wunderbaren im selben Haus mit Bernard Mayo und mehr Lateinamerikanern.

Kandidaten für Donnerstag




(1)

manchmal möchte ich
mein Leben ablegen
wie ein unbequem gewordenes Kleid

ich höre dich
dasselbe sagen
und schweige

du willst nicht
das meine
und ich nicht
das deine






(3)

manchmal möchte ich
mein Leben ablegen
wie ein unbequem gewordenes Kleid
und mir ein neues bestellen

meine Maße
kennt kein Katalog
also beginne ich
mir eines zu nähen

du lachst
über meine blutigen Finger

ich verüble es dir nicht
wenn ich nur
bei dir
nackt sein darf


(5)

Manchmal wünschte ich
du legtest dein Leben ab
vor meiner Tür
wie ein unbequem gewordenes Kleid

Wir schneidern uns
zusammen
einen Schrank voll neuer
du für mich
meine Ecken zu verbergen
ich für dich
mit Stellen
an denen deine Haut
durchblitzt

Wir zerschnippeln Ballen
farbiger Ideen
bis wir uns
unter schneeweißer Decke
in unverhüllten Träumen treffen

Später schauen wir
vor die Tür
nach deinem alten Kleid
Du ziehst es wieder an
denen draußen zuliebe



(8)

manchmal möchte ich
mein Leben ablegen
wie ein unbequem gewordenes Kleid

ich höre dich
dasselbe sagen
und schweige

vor dem Kochwaschgang
malen uns aus
unsere Kleider
liefen ein
dann brauchten wir
neue

aus dem Trockner
kommen sie
warm und weich

Tage danach
beengt dich das deine
juckt mich das meine
warten wir
auf unsere Stunde
im Waschsalon



(7)

manchmal wünschte ich
du könntest dein Leben ablegen
wie ein unbequem gewordenes Kleid
wenn du
über meine Schwelle trittst

Von mir bekämst du
eine riesige Schere
und für draußen
reichte nachher
mein Mantel
aus Bärenhaut

wenn wir dicht genug
aneinanderrückten
sogar für uns beide